Der Bürgermeister von Teschen in den Jahren 1939–1945
- Jonasz Milewski

- 17. Okt.
- 17 Min. Lesezeit
Nach dem Krieg begann die Abrechnung mit den Schuldigen. Wilhelm Koperberg entging diesem Schicksal nicht. Was geschah mit dem Bürgermeister von Teschen?
Düsseldorf, den 9. April 1948
Kommissar Heggen setzte sich in den Sessel. Obwohl es für ihn nur ein weiterer ähnlicher Fall war, ging er an jeden individuell heran. Die Aufgabe, die ihm in dieser Region anvertraut worden war, betrachtete er als eine historische Mission. Er legte einige Dokumente von der linken Seite des Schreibtisches auf die rechte, dann sah er den neben ihm sitzenden Unterkommissar an.
– Jetzt der Fall Wilhelm Koperberg, richtig? – fragte er, um sich zu vergewissern, dass die Akten vor ihm die richtigen waren.
– Ja, Herr Kommissar – antwortete dieser präzise und musterte den Betreffenden mit prüfendem Blick.
– Ist die britische Vertretung vollständig anwesend? – fragte er formell und spielte damit auf die vorgeschriebene Anwesenheit der Vertreter Großbritanniens an, die den Entnazifizierungsprozess in Nordrhein-Westfalen überwachten.
– Das stimmt – antwortete einer von ihnen.
Im geräumigen Saal befanden sich insgesamt neun Personen. Neben dem Verhörten, dem Kommissar, seinen beiden Stellvertretern und den drei britischen Vertretern waren auch die sogenannten Ankläger anwesend. Ihre Aufgabe war es, so viele Fakten wie möglich zu sammeln, die sie nun vorlegen sollten, damit die Kommission über das weitere Schicksal Koperbergs entscheiden konnte.
– Beginnen wir – ordnete Kommissar Heggen an. – Im Namen der Britischen Kontrollzone der Militärregierung Deutschlands heiße ich Sie zur Sitzung im Fall Wilhelm Koperberg, Nummer 45829, willkommen. Der Befragte ist persönlich anwesend. Bitte treten Sie an das Pult.
Koperberg erhob sich von seinem Platz und ging mit deutlich verzogenem Gesicht zu der angegebenen Stelle. Er fühlte sich nicht wohl. Er verneigte sich leicht.
– Datum, Geburtsort und aktuelle Adresse? – fragte der Kommissar, um die Formalitäten verfahrensgemäß zu bestätigen.
– 6. November 1908 in Düsseldorf. Wohnanschrift: Haroldstraße 1 in Düsseldorf – antwortete er und wischte sich eine Schweißperle von der Stirn. Der Kommissar ließ ihn nicht aus den Augen und verfolgte jede Bewegung Koperbergs. Dieser, 178 Zentimeter groß und 76 Kilogramm schwer, erschien ihm deutlich älter als 40 Jahre.
– Ausbildung? – fragte Heggen weiter in soldatischem Ton.
– Juristische. 1933 legte ich die Prüfung als Gerichtsreferendar ab, 1937 als Gerichtsassessor – sagte er und verzog leicht das Gesicht. Er spürte Schmerzen im Rücken.
– Die Formalien betrachte ich als bestätigt. Ich bitte nun den Vertreter des Revisionsamts um Vortrag der gesammelten Beweise – ordnete der Kommissar an.

Ein stattlicher, großer Mann von etwas über dreißig Jahren stand auf und nahm vom eigenen Schreibtisch einen Stapel Unterlagen in die Hand. In seinem Gesicht zeigte sich keine Regung. Er sah den Verhörten nicht an.
– Vor die Kommission gestellt, war Herr Wilhelm Koperberg seit Oktober 1931 Mitglied der SA. Der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei trat er im Dezember desselben Jahres bei und gehörte ihr bis 1945 an. In den Jahren 1933–1935 arbeitete er als Referendar am Landgericht Düsseldorf. Anschließend, von 1935 bis 1937, als Praktikant im Landratsamt in Köln. Von Oktober 1937 bis März 1939 war er Regierungsassessor im Landratsamt in Reichenbach (Dzierżoniów). Von März bis September 1939 war er Lehrer an der Schlesischen Schule für Gemeindeverwaltungsbeamte in Reichenbach (Dzierżoniów). Nach Beginn der Kriegshandlungen wurde er nach Teschen versetzt und zum Bürgermeister der Stadt ernannt – referierte er, wobei er sich genau an die Unterlagen hielt, deren Zusammenstellung er persönlich überwacht hatte.
– Bestätigt der Befragte die Angaben? – fragte der Kommissar.
– Ja – antwortete Koperberg kurz. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, mit denen er sich auf das Pult stützte, leicht nach vorn gebeugt.
– Ich bitte den Vertreter der Anklage, das Verhör zu beginnen – entschied Heggen und nahm den schwarzen Füllfederhalter in die Hand.
Der Ankläger trat von seinem Tisch zurück und begann langsam, durch den Saal zu gehen. Einen Moment lang schwieg er und stand mit dem Rücken zum Befragten. Es sah aus, als würde er durch das große Fenster hinausschauen.
– Sie sind ziemlich früh der SA und der NSDAP beigetreten. Noch bevor die Partei an die Macht kam – bemerkte er nach einer Weile.
– Das wurde durch die wirtschaftliche Lage beeinflusst. Ich war damals Jurastudent. Meine Eltern führten ein Bauunternehmen, das infolge der Krise bankrottging. Ihr Vermögen wurde vom Gerichtsvollzieher beschlagnahmt, und ich musste Gelegenheitsarbeiten annehmen, um mein Studium fortzusetzen… – begann Koperberg, doch der Ankläger unterbrach ihn rasch.
– Sie hofften also auf finanzielle Unterstützung seitens der Partei? – fragte er.
– Nein. Als ich die tieferliegende Ursache der allgemeinen wirtschaftlichen Probleme sah, verfing ich mich in der nationalsozialistischen Propaganda. Ich war zuvor politisch nicht engagiert. Angesichts des Konflikts zwischen Bürgertum und Arbeiterklasse sowie des gegenseitigen Kampfes der politischen Parteien glaubte ich, dass die von den Nationalsozialisten propagierten Parolen der Schlüssel zur Linderung der allgemeinen Not und zur Verbesserung der Lebensbedingungen seien. Als anständiger Mensch vertraute ich auf die Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit der Parteiführung – erklärte er. Während er sprach, suchte er Blickkontakt mit dem Kommissar, dessen Stellvertretern und den Briten.
– Und Sie hielten also den Beitritt zu den Sturmabteilungen, der SA, für einen anständigen und ehrlichen Weg, die Probleme zu lösen, die in ganz Europa verbreitet waren – nicht nur in Deutschland?
– Ich war in der SA-Reserve. Ich erfüllte gewöhnliche Pflichten, aber nur bis Mitte 1932, als ich Urlaub nahm, um mich auf das Staatsexamen vorzubereiten. Ich war kein aktives Mitglied. Ich bestreite nicht, dass ich der SA und der Partei freiwillig beigetreten bin. Ich war damals 23 Jahre alt und glaubte anfangs an die Richtigkeit ihrer Parolen.
– Ach ja. Und als also Ihre SA-Kameraden im August 1932 Konrad und Alfons Piecuch zusammenschlugen, bis sie das Bewusstsein verloren, und dann vor den Augen ihrer Mutter den ersteren ermordeten, glaubten Sie weiterhin an die friedlichen Ziele Hitlers und an seine Beteuerungen, er wolle eine nationale Armee schaffen und lehne jegliche Aggression und Gewalt ab? – Der Ankläger sah Koperberg direkt in die Augen.
– Ich billigte diese Handlungen nicht – antwortete er rasch und atmete tief ein.
– Aber Sie hatten kein Problem damit, dass Hans Frank, einer der ranghöchsten Parteifunktionäre, dieses Ereignis mit den Worten kommentierte, sie hätten sich „auf doppelte Weise um das Reich verdient gemacht – erstens, indem sie einen Polen, und zweitens, indem sie einen Kommunisten getötet haben“. Mehr noch: Ihr damaliges Idol, Adolf Hitler, verkündete, als er erfuhr, dass Ihre SA-Kameraden von der Regierung der Republik Polen zum Tode verurteilt worden waren, in der nationalsozialistischen Presse, die Sie gewiss gelesen haben, „angesichts dieses entsetzlichen blutigen Urteils vereine ich mich mit ihnen in grenzenloser Zuneigung, und ihre Befreiung wird von nun an eine Frage eurer Ehre und der Kampf gegen die Regierung, unter der dieses Urteil gefällt wurde, eure Pflicht“. Haben Sie sich damals nicht mit diesen Ideen identifiziert? – Der Ton des Anklägers war scharf. Man sah ihm an, dass er gut vorbereitet war.
– Ich habe mich niemals mit solchen Praktiken oder Ansichten identifiziert. Als Jurastudent orientierte ich mich an rechtlichen Lösungen, die die wirtschaftliche Lage Deutschlands verbessern sollten. Politische Ideologien waren mir fremd – Koperbergs Stimme zitterte.
– Dennoch traten Sie weder aus der SA noch aus der NSDAP aus, obwohl beide offen brutale Gewalt billigten – kommentierte der Ankläger, ohne auf eine Antwort zu warten. – Ihre Loyalität gegenüber der Partei brachte Ihnen greifbare Vorteile. Unmittelbar nach Kriegsausbruch erhielten Sie das Amt des Bürgermeisters im besetzten Teschen – er führte das Thema auf das Jahr 1939 über.
– Meine Ernennung zum Bürgermeister beruhte auf keiner parteilichen Tätigkeit. Im Gegenteil, nach Kriegsausbruch wurde ich am 26. September 1939 von der Regierung in Breslau nach Teschen entsandt, da ich für den Militärdienst untauglich war. Danach ernannte mich der dortige Landrat, Albert Smagon, zum kommissarischen Bürgermeister – mit der Möglichkeit, mich jederzeit abzuberufen.
– Warum diese Klausel? – fragte der Ankläger nach.
– Vor meiner Ernennung hatte Artur Gabrisch, ein örtlicher Tescheiner Deutscher, diese Aufgaben wahrgenommen. Er war seit 1922 stellvertretender Bürgermeister der Stadt. Doch es wurde entdeckt, dass seine Ehefrau Käthe Volljüdin war, was nach den Nürnberger Gesetzen zu seiner Entlassung führte – erklärte er. Kommissar Heggen, der der Aussage aufmerksam zuhörte, begann in den Unterlagen nachzusehen, ob Koperbergs Worte durch Fakten bestätigt wurden.
– Es muss für Sie eine Auszeichnung gewesen sein, ein so hohes Amt zu erreichen – der Ankläger versuchte, Koperberg aus der Ruhe zu bringen, damit dieser sich weniger sicher fühlte.
– Ich nahm die Ernennung als einen Abschnitt meines beruflichen Werdegangs an. Ich betone, dass die Partei damit nichts zu tun hatte. Außerdem war ich der oberschlesischen Gemeinschaft – sowohl der parteilichen als auch der staatlichen – völlig unbekannt. Aus diesem Grund blieb ich anderthalb Jahre lang kommissarischer, nicht fest angestellter Bürgermeister – argumentierte er aus seiner Sicht.
– Dennoch hat die Tatsache, dass Sie Mitglied der SA und der NSDAP waren, Ihnen die Übernahme dieses Amtes ermöglicht – stellte der Ankläger fest, drehte sich wieder um und ging langsam zu dem Tisch zurück, auf dem seine Notizen lagen.
– Als Beamter konnte ich mit der Partei nicht brechen, da ich mit Sicherheit meine Arbeit und damit die Lebensgrundlage meiner Familie verloren hätte. Ich bin jedoch der Meinung, dass ich durch meine allgemeine Haltung und mein Handeln deutlich bewiesen habe, dass ich trotz formaler Zugehörigkeit in Wirklichkeit kein Aktivist war. In meinem Amt diente ich den Prinzipien der Menschlichkeit und Gerechtigkeit so gut ich konnte und leistete persönlich Widerstand gegen unmenschliche und moralisch nicht zu rechtfertigende Handlungen der Partei. Ich verhinderte Missbräuche und leistete zahlreichen politisch Verfolgten und Gefährdeten Hilfe und Unterstützung – in seiner Stimme war Bewegung zu hören, was den Ankläger zu freuen schien. Er wandte sich sofort ihm zu.
– Sie wollen uns also überzeugen, dass diese angebliche Edelmut Ihnen den Aufstieg im Jahr 1941 eingebracht hat? Im März wurden Sie schließlich hauptamtlicher Bürgermeister mit einem Gehalt von neuntausend Mark, und im November ernannte man Sie zum Obergemeinschaftsleiter und überreichte Ihnen die Bronzene Medaille – spottete er über seine Erklärung.
– Mein Aufstieg zum hauptamtlichen Bürgermeister dieser Stadt mit 28 000 Einwohnern war die Folge einer Verwaltungsreform, die einen Monat zuvor stattgefunden hatte. Die Provinz Schlesien wurde geteilt daraus entstand die Provinz Oberschlesien, und im gesamten Gebiet wurden Verwaltungsangelegenheiten neu geordnet. Damals ernannte mich der Tescheiner Landrat Udo Krüger aufgrund meiner Ausbildung, Qualifikationen und Verwaltungserfolge in den festen Dienst – Koperberg war ebenfalls gut auf dieses Verhör vorbereitet. Viele Monate vor diesem Apriltag 1948 hatte er versucht, möglichst viele Beweise zu seiner Verteidigung zu sammeln. – Die Beförderung und die bronzene Medaille wurden automatisch nach zehn Jahren Parteimitgliedschaft verliehen. Ich war bei dieser Veranstaltung nicht einmal anwesend, da ich mich mit meiner Frau im Kurort Trenčianske Teplice in der Slowakei im Urlaub befand.
– Nehmen Sie bitte Stellung zu dem größten und grausamsten Verbrechen, das auf dem von Ihnen verwalteten Gebiet begangen wurde dem vom 20. März 1942. Damals wurden vierundzwanzig Polen ermordet. Sie inszenierten dieses bestialische Schauspiel sorgfältig und zogen mehr als sechstausend Zuschauer an – der Ankläger verlas die Fakten aus den Dokumenten, die er in der Hand hielt, trat dann zu Koperberg heran und warf ihm die Fotos der damals gehängten Männer vor die Füße.

Koperberg war wie versteinert. Er hatte diese Fotos noch nie gesehen. Mit zitternder Hand nahm er sie und begann, sie durchzublättern. Nach einer Weile legte er den Stapel beiseite und rieb sich mit den Fingern die Augen. Er atmete tief. Der Kommissar beobachtete aufmerksam seine Haltung. Der Ankläger nahm das Beweismaterial wieder an sich.
– Sie wissen sehr wohl von diesem Verbrechen – sagte er trocken, aber laut.
– Ja, ich bin mir dessen bewusst, was an diesem Tag geschehen ist – antwortete der ehemalige Bürgermeister der Stadt.
– Und was soll das heißen?! – fuhr der Ankläger in erhobener Stimme fort.
– Ich habe dieses Verbrechen verurteilt. Doch ich konnte es nicht verhindern – begann Koperberg. – Es war ein politischer Mord, über den ein Sondergericht des Regimes entschied, das der Polizei und der Gestapo unterstand, nicht der Stadtverwaltung.
– Wenn Sie behaupten, als Bürgermeister den Prinzipien der Menschlichkeit und Gerechtigkeit gedient und persönlich Widerstand gegen unmenschliche und moralisch nicht zu rechtfertigende Handlungen der Partei geleistet zu haben, warum haben Sie dann nicht alles getan, um diejenigen aufzuhalten, die dieses Urteil gefällt haben?! – gestikulierte er, mit hörbarer Wut in der Stimme.
Koperberg schwieg wieder. Er senkte den Kopf.
– In dieser Zeit erlebte ich eine persönliche Tragödie… – sagte er leise, sodass der Ankläger ihn nicht verstand.
– Lauter! – schrie dieser.
– Ich verfügte in jener Zeit über keine Informationen über die geplanten Ereignisse. Ich konnte nicht eingreifen – sagte er nach einem Räuspern.
– Sie wollen uns also weismachen, dass Sie als Bürgermeister nichts von einer geplanten öffentlichen Hinrichtung mit sechstausend Anwesenden wussten?!
– In jener Zeit hatte ich die Kontrolle über das Geschehen in meinem Amt verloren – gestand er.
– Eine bequeme Antwort – schnitt der Ankläger ab.
– Aus welchem Grund? – meldete sich plötzlich Kommissar Heggen zu Wort, der sich bisher nicht in den Verlauf der Verhandlung seines Kollegen eingemischt hatte.

Koperberg schwieg erneut. Er blickte den Kommissar an.
– Weil ich damals meine Frau verlor – sagte er und holte tief Luft, um seine Emotionen zu beherrschen.
– Erläutern Sie das bitte genauer – der Ankläger war von dieser Information überrascht. In den ihm vorliegenden Unterlagen fand sich kein Hinweis auf die Ehefrau des Bürgermeisters.
– Ich kam nach Teschen zusammen mit meiner Frau Klara. Wir stammten beide aus Düsseldorf. Sie wurde ebenfalls im Jahr 1908 geboren. Im Grunde war ich nur neun Tage jünger als sie. Uns verband eine außergewöhnliche Nähe, sowohl gefühlsmäßig als auch in unseren Ansichten – sagte er langsam, mit hörbarer Wehmut. – Hitlers Außenpolitik, insbesondere der ungerechtfertigte Kriegsbeginn und die antisemitische Kampagne von 1938, zerstörten völlig unseren Glauben an die Ehrlichkeit der Parteiführung und entfremdeten uns von ihr. Als ich das Amt des Bürgermeisters annahm, war ich überzeugt, der örtlichen Gemeinschaft nützlich zu sein, indem ich sie vor den überzogenen und unbegründeten Maßnahmen der lokalen Partei schützte. Dazu überredete mich gerade Klara. Leider erkrankte sie und starb am 9. Februar 1942, kaum über dreiunddreißig Jahre alt. Sie wurde auf dem Kommunalfriedhof in Teschen beigesetzt. Dort blieb sie für die Ewigkeit – als er geendet hatte, zog er ein besticktes Taschentuch aus der Tasche und wischte sich die Augen.
Der Ankläger ließ Koperberg einen Moment Zeit, um sich zu fassen. Für den Befragten war dies eine schmerzliche Erinnerung. Ihm war bewusst, dass er die Grabstätte seiner Frau nie wieder würde besuchen können und niemand Blumen darauf niederlegen würde. Die Grenzen des Nachkriegseuropas hatten sich verändert.
– Ich habe niemals eine strafbare oder tadelnswerte Handlung begangen – fuhr Koperberg nach einer Weile fort. – Ich war in jener Zeit kein Anhänger des Nationalsozialismus und missbrauchte meine Stellung nicht. Im Gegenteil, ich versuchte, solchen Missbräuchen nach Kräften und im Einklang mit meinem Gewissen entgegenzuwirken. Ich gebe zu, dass ich Opfer eines jugendlichen Fehlers wurde, der aus Unerfahrenheit und wirtschaftlicher Not entstand, doch meine Absichten waren aufrichtig. Meine berufliche Tätigkeit war die eines typischen Verwaltungsbeamten – gegründet auf Ausbildung und unpolitischen Beziehungen.
Der Ankläger ging noch eine Weile im Saal umher, dann sah er zu Heggen hinüber und gab ihm zu verstehen, dass er keine weiteren Fragen hatte. Der Kommissar dankte seinem Kollegen. Er wandte sich an die britischen Vertreter mit der Frage, ob sie noch etwas vom Befragten erfahren wollten. Diese verzichteten jedoch. Heggen bat den zweiten Ankläger, das Wort zu ergreifen.
Der zweite, ein leicht übergewichtiger, etwa vierzigjähriger Mann, nahm seine Beweisakte unter den Arm und trat an den Tisch in der Mitte des Raumes. Er öffnete sie, nahm das erste Dokument heraus und legte den Rest beiseite.
– Wir haben Zeugenaussagen gesammelt – sagte er und setzte mit einer Hand seine Brille auf – die uns weitere Informationen über Ihre Tätigkeit als Bürgermeister von Teschen geliefert haben. Insgesamt haben wir vierundzwanzig eidesstattliche Erklärungen berücksichtigt. Sie stammen von überprüften und unbelasteten Personen. Ich werde Sie nun nacheinander bitten, zu den einzelnen Aussagen Stellung zu nehmen – erklärte er. – Verstehen Sie das? – fragte der zweite Ankläger.
– Ja – nickte Koperberg und bewegte dann mit schmerzverzerrtem Gesicht den Rücken, um etwas Linderung zu verschaffen.
– Möchten Sie sich setzen? – fragte Kommissar Heggen, der bemerkte, dass der Befragte erneut mit Rückenschmerzen zu kämpfen hatte.
– Nein, danke – erwiderte er.
– Dann machen wir weiter – befahl der Kommissar.

– Der erste Zeuge ist Artur Gabrisch, geboren am 26. Februar 1881 in Teschen, derzeit wohnhaft Wassergasse 10/15 in Wien. Ist Ihnen diese Person bekannt? – fragte der zweite Ankläger, nachdem er einen kurzen Blickwechsel mit Heggen getauscht hatte.
– Ja.
– In welchem Verhältnis standen Sie zueinander?
– Herr Gabrisch war mein Vorgänger im Amt des kommissarischen Bürgermeisters von Teschen und später mein Stellvertreter. Uns verband ein berufliches Verhältnis.
– Was geschah nach Ihrer Ankunft in Teschen im September 1939? – der Ankläger las sichtbar von einem Blatt ab.
– Der Landrat des Kreises Teschen, Albert Smagon, setzte mich wegen der jüdischen Herkunft von Gabrischs Ehefrau an seine Stelle. Ich bot ihm damals die Position des stellvertretenden Bürgermeisters an. Es gelang, ihn bis Dezember 1939 auf diesem Posten zu halten, als Landrat Smagon seinen Rücktritt verlangte. Sofort begab ich mich mit einem Protest zu ihm. Doch wegen seiner Haltung gegenüber der polnischen Bevölkerung der Stadt, die der Parteilinie widersprach, und aufgrund der jüdischen Herkunft von Gabrischs Ehefrau wurde mein Protest vollständig zurückgewiesen. Unter diesen Umständen bedauerte ich sein Ausscheiden und brachte schriftlich meine Dankbarkeit für seine großen Verdienste und Leistungen für die Stadt zum Ausdruck – berichtete Koperberg.
– Herr Gabrisch hat ausgesagt, dass Sie sich mehrfach für ihn eingesetzt haben. Bitte nennen Sie Beispiele – forderte der zweite Ankläger. Auf diese Weise überprüfte die gesamte Kommission, ob die Aussagen des Befragten und des Zeugen miteinander übereinstimmten.
– Ich kann bezeugen und dies lässt sich auch überprüfen, dass ich mich erfolgreich dafür eingesetzt habe, dass Herr Gabrisch seine Schornsteinfeger-Lizenz zurückerhielt, die ihm nach seiner Entlassung aus dem Amt entzogen worden war. Außerdem erwirkte ich eine Ausreisegenehmigung in das Generalgouvernement für seinen Sohn Karl, der am 2. September 1939 wegen der Nürnberger Gesetze, die ihn als Mischling ersten Grades einstuften, aus dem Dienst des Amtsgerichts Teschen entlassen worden war.
– Welche Haltung hatten Sie gegenüber Käthe Gabrisch, der jüdischen Ehefrau von Artur? – fragte der Ankläger weiter, bevor er das Dokument mit der Zeugenaussage in seine Mappe zurücklegte.
– Meine Frau und ich pflegten herzliche Beziehungen zur gesamten Familie Gabrisch… – erklärte er, dann fügte er hinzu: – Ach, und ich erinnere mich gerade, dass ich Frau Gabrisch eine Bescheinigung ausstellte, die sie von der Pflicht befreite, den Davidstern zu tragen. Das geschah lange bevor diese Regelung auf andere Ehepartner von Deutschen ausgeweitet wurde.

Der Ankläger sah zu seinem Kollegen hinüber, der Koperberg zuvor verhört hatte, um zu prüfen, ob dieser noch Fragen stellen wollte. Doch dieser schüttelte nur den Kopf.
– Ihno Alberts, geboren am 30. Oktober 1910 in Pilsum, derzeit Landrat des Kreises Norden in der Britischen Kontrollzone. Ist Ihnen diese Person bekannt? – fragte er nach dem zweiten Zeugen.
– Ja. Er arbeitete in den Jahren 1940–1945 im Rathaus von Teschen zunächst als Stadtinspektor, später als Verwaltungsdirektor. Er war mir direkt unterstellt – erklärte Koperberg und stützte sich erneut mit geballten Fäusten auf das Pult.
– Bitte erläutern Sie den Fall Agnes Glajcar, sofern Sie sich erinnern – bat der Ankläger.
– Ich erinnere mich sehr gut. Frau Glajcar war eine Angestellte der Verwaltung, eine Bürgerin von Teschen. Der Landrat Udo Krüger, der sein Amt wohl Mitte 1940 antrat, befahl mir, sie zu entlassen, weil ihr Ehemann vom Gestapo gesucht wurde. Ich lehnte ab. Die Situation wiederholte sich mehrmals, doch ich widersetzte mich dem Landrat konsequent. Frau Glajcar arbeitete in meiner Verwaltung bis zum Ende des Krieges.
Der zweite Ankläger sah erneut zu seinem Kollegen hinüber. Dieser Teil des Verhörs diente lediglich der Überprüfung der Übereinstimmung der Aussagen, daher wurden weniger Zusatzfragen gestellt. Doch der erste Ankläger hob die Hand, um anzuzeigen, dass er etwas fragen wollte. Man erteilte ihm das Wort.
– Warum, Herr Koperberg, haben Sie diese Frau so sehr geschützt?
– Ich habe nicht nur sie geschützt. Ich habe viele Angestellte verteidigt, wenn ich der Meinung war, dass die Gestapo kein Recht hatte, ihre Entlassung zu verlangen – antwortete er.
– Ich habe keine weiteren Fragen – beendete der erste Ankläger.
Der Leiter dieser Phase des Verhörs zog ein weiteres Dokument aus seiner Mappe. Er rückte seine Brille zurecht und las den dritten Zeugen vor: Wilhelm Finger, Leiter der Abteilung für Wohnungswesen und Immobilien im Rathaus von Teschen von März 1941 bis zum 30. April 1945.
– Bitte berichten Sie uns über Ihren Konflikt mit dem Chef der Gestapo, Markwitz.
– Herr Markwitz stellte meine Wohnungspolitik in Frage, da ich mich weigerte, zahlreiche Immobilien durch Angehörige der Teschener Gestapo übernehmen zu lassen. Er drohte mir daraufhin mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, doch ich setzte meine Linie dennoch fort – erklärte Koperberg. Als Jurist hatte er ein gutes Gedächtnis für viele Details.
– Erinnern Sie sich an Situationen im Zusammenhang mit der Wohnungspolitik in Teschen, die Auswirkungen auf die vorherrschenden Religionen der Stadt hatten?
– Ganz entschieden ja. Ich verurteilte offen die Entscheidung des Landrats, das katholische Pfarrbüro zu räumen. Gleichzeitig stellte ich dem Pfarrer der Teschener Pfarrei St. Maria Magdalena, Alois Dyllus, ein anderes städtisches Gebäude zur Verfügung – berichtete Koperberg mit Verweis auf konkrete Fälle. – Außerdem, als das Kloster der Borromäerinnen von der SS für die Volksdeutsche Mittelstelle beschlagnahmt wurde, forderte ich mehrfach, das Klostergebäude wieder unter die Kontrolle des Ordens zu stellen. Der spätere Erfolg dieser Bemühungen war zu einem großen Teil mein Verdienst. Ich möchte auch betonen, dass die Parteileitung wiederholt den Abriss des jüdischen Bethauses in der Hinterstoisserstraße verlangte. Damals lehnte ich ab, unter dem Vorwand, es werde als Lagerraum für das Stadttheater benötigt. Dadurch überstand das Gebäude den Krieg – sagte er und stöhnte anschließend vor Schmerz.
– Ist etwas passiert? – fragte Kommissar Heggen.
– Entschuldigen Sie, es liegt an meiner Krankheit – keuchte Koperberg und hielt sich den unteren Rücken.
– Benötigen Sie medizinische Hilfe? – fragte Heggen.
– Nein, danke.
– Wir können das Verhör verschieben, falls es die Situation erfordert – bot der Kommissar an, obwohl er insgeheim das Ende des Falls nicht weiter hinauszögern wollte.
– Das ist wirklich nicht nötig. Ich leide seit vielen Jahren an einer ankylosierenden Wirbelsäulenentzündung, und es wird keine bessere Gelegenheit geben, alle Erklärungen abzugeben – sagte er und richtete sich langsam wieder auf.
Die Kommissionsmitglieder sahen einander an und waren sich stumm, aber einig, dass das Verhör fortgesetzt werden sollte.
– Bitte erläutern Sie, welche Haltung Sie in den letzten Kriegsmonaten eingenommen haben.
– Ich bereitete das Amt auf die Evakuierung vor. Ich unternahm zahlreiche und wiederholte Anstrengungen, damit die Stadt kampflos übergeben wurde – entgegen den ursprünglichen Plänen. Ich bin überzeugt, dass dadurch Hunderte von Menschenleben, Gebäude und Infrastruktur gerettet wurden. Wegen meiner Handlungen bezeichnete mich der Kreisführer des Volkssturms SA, Hehnel, als „Saboteur“. Am 1. Mai 1945 evakuierte ich mich auf Befehl des Reichsverteidigungskommissars. Vom 9. August 1945 bis zum 1. April 1947 war ich als Zivilist aufgrund automatischer Verhaftung interniert.
Der nächste Zeuge, der eine eidesstattliche Erklärung abgab, war Robert Ludwig, Direktor des Stadttheaters in Teschen in den Jahren 1941–1945. Er sagte aus, dass dank Koperbergs Engagement dieses Theater das einzige in Oberschlesien von insgesamt dreihundert gewesen sei, das völlig unabhängig von der Parteiführung blieb. Er bestätigte, dass dies trotz des Widerstands des Oberpräsidenten von Oberschlesien, Fritz Bracht, geschah. Er fügte hinzu, dass Koperberg ihm erlaubt habe, im Theater Personen anderer Nationalitäten zu beschäftigen. In das technische Team, den Chor und die Instandhaltung stellte er Polen und Tschechen ein, einen Russen als Solisten und einen Tschechen als Schauspieler. Koperberg antwortete auf Nachfragen sachlich und nannte konkrete Namen.
Die Überprüfung der Aussagen dauerte noch zwei Stunden. In dieser Zeit gab Koperberg Erklärungen zu den Aussagen von Alfons Wierschke ab, dem Direktor der Teschener Filiale der Dresdner Bank, der im Januar 1945 von der Gestapo verhaftet, aber dank Koperbergs Eingreifen aus dem Gefängnis entlassen worden war. Er berichtete der Kommission auch von seinem Cousin Wilhelm Schmitz, der als Antinazi in das Konzentrationslager Sachsenhausen unter der Nummer 2687 eingeliefert worden war und bezeugte, dass Koperberg sich in privaten Gesprächen als Gegner der nationalsozialistischen Ideologie geäußert hatte. Ebenso wurden die Aussagen von Heinrich Falck besprochen, einem ehemaligen Beamten in Teschen, der bestätigte, dass Koperberg trotz des Widerstands der Partei katholische Ordensschwestern im Kinderheim beschäftigte und der evangelischen Gemeinde regelmäßige Beerdigungen auf einem abgetrennten, ihr übereigneten Teil des Friedhofs erlaubte.

Nach Abschluss aller Verfahrenshandlungen bat die Kommission Koperberg, den Raum zu verlassen. Die Beratung dauerte nicht lange. Nach einer halben Stunde wurde er wieder hereingerufen.
– Bitte nehmen Sie Platz – sagte Kommissar Heggen. – Nur Gott weiß, was die Wahrheit über all Ihr Handeln, Ihre Umstände und Ihre Haltung ist. Die Gerechtigkeit der Geschichte wird auch über Ihre Person richten. Wenn Sie sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, werden Sie Ihr Leben lang ein beflecktes Gewissen tragen. Bis zu Ihrem letzten Tag werden Sie sich umsehen aus Furcht vor Vergeltung – sagte er und blickte Koperberg tief in die Augen. Dieser stand aufrecht, doch in seinem Gesicht zeigte sich Ergriffenheit.
Schließlich erhob sich der Kommissar, und mit ihm die anderen. Auch Koperberg stand auf.
– Wir, die hier anwesenden Mitglieder der Entnazifizierungskommission, handelnd im Namen der Britischen Kontrollzone der Militärregierung Deutschlands, haben einstimmig beschlossen, dass Wilhelm Karl Koperberg der Kategorie IV zugeordnet wird – als Mitläufer, jedoch ohne Schuld. Damit schließt die Kommission ihre Sitzung.
P.S.In den 1950er-Jahren zog Wilhelm Koperberg in die Kleinstadt Gerlingen-Schillerhöhe bei Stuttgart, wo er in der Bopserwaldstraße wohnte. Er starb am 27. Juli 1961 im Alter von 53 Jahren.Seine Ehefrau, Klara Koperberg, ruht auf dem Kommunalfriedhof in Teschen – Abteilung V, Reihe A, Nummer 15.
Autor: Jonasz Milewski
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Tiele: Landesarchiv NRW w Niemczech




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